Fanfiction

Im Fahrstuhl

Autor: Resi

Per kam als erster herein, in dunkler Hose und mit beigem Hemd, gefolgt von Marie mit schwarzer Hose und ebenfalls schwarzem Oberteil, welches ziemlich eng anlag und einen Blick auf einen schmalen Streifen ihres nackten Bauches freigab. An ihren Gesichtern war abzulesen, daß sie ein bißchen gereizt waren aufgrund der Belagerung durch die Fans, doch kaum hatten sie die vergleichsweise ruhige Halle betreten, entspannten sich ihre Gesichtszüge. Hinter ihnen waren einige andere Leute, die man kannte, wenn man Roxette-Fan war, unter anderem ihre Managerin. Sandra war der Kiefer heruntergeklappt. Sie wußte nicht, wen sie zuerst ansehen sollte, entschied sich dann aber für Marie. Ihre Blicke klebten an ihr, während sie mit Per und den anderen durch die Halle an der Sitzgruppe vorbeiging und zum Tresen, am dem sie von den Angestellten des Hotels bereits erwartet wurden. Sandras und Andreas Blicke waren nicht die einzigen, die der Prominenz folgten, denn auch einige der Gäste hatten sie erkannt. Man hörte hier und da jemanden flüstern: "Sind das nicht Roxette?"

Sandra konnte ihre Blicke nicht von Marie abwenden, während sie mit Per am Tresen stand und ihnen nun den Rücken zugewandt hatte. Sie sprachen mit dem Personal. Gütiger Gott im Himmel, dachte Sandra, ist die Frau klein! Sie hatte gewußt, daß Marie nicht besonders groß war, doch daß sie so zierlich war, das hatte sie nicht erwartet. Sie war selbst nicht besonders groß, wahrscheinlich ungefähr so groß wie Marie, doch hatte Marie etwas ungemein Zerbrechliches an sich, was sie noch kleiner erscheinen ließ. Und wie schlank sie war. Wie sie sprach und sich bewegte - es war wirklich genau so, wie Sandra es von Videos und vom Fernsehen kannte. Sie war fasziniert. Zitterte am ganzen Leib. Versuchte, sich das Zittern nicht anmerken zu lassen. "Und jetzt?" raunte Andrea Sandra zu. "Was machen wir jetzt? Wir können sie nicht einfach abhauen lassen!" "Ich hab keine Ahnung..." Sandra atmete schnell. Wünschte sich insgeheim, die könnte Marie am Hoteltresen festketten, solange bis sie wußte, was sie tun sollte. Doch es ging nicht. Per, der seinen Zimmerschlüssel anscheinend schon bekommen hatte, löste sich bereits von der Gruppe und machte sich zusammen mit einem der Bewacher auf den Weg.

Marie und die Managerin blieben am Tresen stehen. Andrea warf Sandra einen kurzen Seitenblick zu, dann machte sie sich ebenfalls auf den Weg, um Per zu folgen, und ließ Sandra einfach sitzen. "Andrea!" rief Sandra ihr hinterher. Doch Andrea ging einfach weiter. Drehte sich nicht einmal um. Sandra überlegte einen Moment, ob sie hinterher laufen sollte, doch dann waren Per, gefolgt von Andrea, durch die Glastür zu den Fluren verschwunden, und Sandra entschied sich, in der Halle zu bleiben, auch wenn sie noch immer nicht recht wußte, was sie eigentlich tun sollte. Mit Maries Zimmer gab es scheinbar ein Problem, denn die Managerin diskutierte heftig mit der Hotelangestellten, und Marie wandte sich in der Zwischenzeit um und ließ ihre Blicke durch die Hotelhalle gleiten.

Als sie Sandra passierten, stockte Marie einen Moment und ihre Augenbrauen zuckten. Sie sah aus, als hätte sie sie von irgendwoher wiedererkannt, doch das war eigentlich nicht möglich, da sie einander schließlich nie zuvor begegnet waren. Oder sieht sie mir an, daß ich ein Fan bin? fragte sich Sandra. Die Managerin sagte etwas zu Marie, Marie bekam ihren Zimmerschlüssel und ging los, ganz allein, zu derselben Tür, in die auch Per gegangen war. Sandra sprang auf. Jetzt oder nie! Sie ging Marie hinterher. Ihre Knie zitterten so sehr, daß sie das Gefühl hatte, sie würden jeden Moment unter ihr zusammenbrechen. Als die Tür schon fast hinter Marie wieder zugegangen war, schlüpfte Sandra noch schnell hinterher.

Der Fahrstuhl schien genau in diesem Moment unten angekommen zu sein und die Tür öffnete sich, und mit einem großen Schritt war Marie darin verschwunden. Niemand sonst - nur Marie. Rein, oder nicht rein? Sandra zögerte. Die Fahrstuhltür begann sich zu schließen. Da gab sich Sandra einen Ruck und sprang in letzter Sekunde mit in den Fahrstuhl. Die Tür schloß sich. Der Fahrstuhl fuhr los. Nur mit Marie und Sandra darin. Sandra zitterte vor Aufregung. Marie lehnte sich mit dem Rücken an eine Seitenwand und schaute vor sich auf den Boden. Sie sah Sandra nicht an. Sandra warf ihr nur einen kurzen Blick zu, dann starrte sie ebenfalls vor sich auf den Boden. Sie wollte Marie auf keinen Fall aufdringlich anglotzen. Auf keinen Fall! Der Fahrstuhl war so gut schallgedämmt, daß kaum ein Geräusch von außen hereindrang, sogar das Fahrgeräusch war fast nicht zu hören, so daß Sandra nur ihren eigenen Atem hörte - und den von Marie. Mehr nicht. Sandra schaute auf die Fahrstuhlanzeige. Marie hatte die sieben gedrückt. Jetzt waren sie im dritten Stock. Gleich würden sie im vierten Stock ankommen. Der Fahrstuhl war nicht besonders schnell. Doch plötzlich hörten sie ein eigenartiges, ganz sicher nicht normales und knarrendes Geräusch, ein Ruck ging durch die Fahrstuhlkabine, das Licht flackerte - und der Fahrstuhl stand.

Die drei und die vier blinkten abwechselnd auf der Anzeige. Kein Zweifel - der Fahrstuhl war steckengeblieben. Marie hatte ihre Blicke vom Boden losgerissen und sah Sandra nun mit weit aufgerissenen Augen an. "Was war das?" fragte sie. "Ich weiß nicht", antwortete Sandra und es fiel ihr schwer, zu sprechen, so trocken war ihre Kehle, "Ich glaube wir stecken fest." Ihre Stimme zitterte unkontrolliert. "Was jetzt?" Marie ging zur Knopfleiste, der Sandra direkt gegenüber stand, und betrachtete die verschiedenen Knöpfe. Sie drückte darauf herum. Sandra kam neben sie. "Wir müssen Alarm drücken", sagte sie und wagte nicht, Marie aus so kurzer Entfernung anzusehen. Sie drückte auf den Alarmknopf und hoffte, daß Marie nicht sehen würde, wie sehr ihre Hand dabei bebte. Marie ging wieder an die Wand zurück, an der sie eben gelehnt hatte. "Verdammt!" hörte Sandra sie leise fluchen. Nichts geschah, und Sandra drückte den Alarmknopf nochmals.

Eigentlich war sie nicht besonders scharf darauf, so bald aus dieser Lage befreit zu werden, doch sie hatte das Gefühl, daß Marie sich dabei alles andere als wohl fühlte. Maries Atem war beschleunigt, sie strich sich nervös mit den Fingern durch die kurzen, blonden Haare. Ein Mann meldete sich durch den Lautsprecher im Fahrstuhl. "Hier ist der Fahrstuhl-Notdienst, was ist passiert?" "Wir stecken fest!" schrie Sandra in das schraffierte Feld unter dem Lautsprecher, hinter dem sich vermutlich das Mikrofon befand. "Ich seh schon, im Hotel", sagte der Mann, der die Störung anscheinend auf einem Bildschirm sehen konnte. "Wie viele Personen sind Sie?" wollte er wissen. "Zwei." Sandra überlegte, ob sie sagen sollte, was sie sagen wollte, sagte es dann aber doch: "Eine davon ist prominent. Sie hat ganz sicher Termine. Also, beeilt euch..." "Prominent?" fragte der Mann durch den Lautsprecher. Sandra sah im Augenwinkel, daß Marie sie von der Seite ansah. "Ja, prominent", gab Sandra zurück. Weitere Informationen wollte sie nicht geben. "Wir schauen was wir tun können und melden uns wieder", sagte der Mann, und es knackte im Lautsprecher. Die Verbindung war beendet.

Sandra sah Marie fragend an, fragte sich, ob es richtig war, die Prominenz zu erwähnen. Marie schaute einen Moment ernst zurück, dann schmunzelte sie. "So eilig ist das nun alles auch nicht", sagte sie, "Aber ich würde mich doch wohler fühlen, wenn ich hier raus wäre." "Ich auch." Sie warteten. Warteten, daß sich der Herr vom Notdienst wieder meldete. Wieder waren der eigene Atem und der der anderen das einzige, was sie hörten. Sandra hätte gerne ein Gespräch angefangen, doch sie hatte nicht die geringste Ahnung, worüber sie mit Marie sprechen sollte. Nun hatte sie endlich die einmalige Gelegenheit, daß Marie ihr nicht davonlaufen konnte, stand ihr das erste Mal im Leben persönlich gegenüber - und wußte nicht, was sie sagen sollte. Die Temperatur im Fahrstuhl stieg leicht an. Marie steckte sich den Finger in den Ausschnitt und zog ihn ein bißchen auseinander. "Heiß hier", sagte sie in die Stille hinein. "Hoffentlich ist nicht die Lüftung kaputt." "Das hoffe ich auch..." In diesem Moment meldete sich der Techniker wieder. "Hallo?" Sandra beugte sich zum Lautsprecher herunter. "Ja?" "Der Fehler ist erkannt", sagte die durch den Lautsprecher metallisch klingende Stimme. "Aber es wird ein bißchen dauern. Wir schicken jemanden vorbei. Aber zwanzig Minuten wird es schon dauern. Wir sind am ganz anderen Ende der Stadt." "So lange?" "Ja, tut mir leid, haben Sie Geduld." Wieder knackte es, und die Verbindung war unterbrochen. "Zwanzig Minuten?" wiederholte Marie ungläubig und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen, so daß sich dazwischen eine kleine Längsfalte bildete.

Entnervt lehnte sie den Hinterkopf an die Wand, und schloß die Augen. Sandra sah sie an. Nutzte die Gelegenheit, in der Marie ihre Augen geschlossen hatte und ihre Blicke nicht bemerken würde. Wie schön sie war! Und wie schlank. Und so klein. Sandra betrachtete ihre perfekt geformten Augenbrauen, ihre große und dennoch wohlgeformte Nase, ihre schmalen roten Lippen, ihren Hals. Sie lauschte ihrem Atem. Überlegte noch immer, worüber sie mit ihr sprechen könnte. Da öffnete Marie ihre Augen wieder, sah Sandra an und ertappte sie dabei, wie sie Marie heimlich musterte. Sie schaute Sandra eine Weile prüfend an und legte dann ihren Kopf ein wenig schräg. "Du kommst mir bekannt vor", sagte sie schließlich. "Woher?" fragte Sandra entgeistert. Das konnte eigentlich überhaupt nicht sein. Sie mußte sie verwechseln. "Doch." Marie kniff nachdenklich die Augen ein wenig zusammen. Sah Sandra intensiv an, während sie überlegte. Sandra fühlte sich von ihren Blicken durchbohrt. Und dann fragte Marie: "Du hast mir mal geschrieben, stimmt´s?" Sandra nickte fassungslos.